Vom Pflichtprogramm zur Zukunftsstrategie: Nachhaltigkeitsrisiken im Finanzsektor aktiv steuern
- Planet Now

- 23. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 26. Aug.
Klimarisiken gehören zu den zentralen Herausforderungen für den Finanzsektor. Längst sind Sie keine theoretischen Zukunftsrisiken mehr, sondern wirken sich bereits heute auf Kreditentscheidungen und Investitionsstrategien aus. Mit der bevorstehenden Umsetzung der überarbeiteten Capital Requirements Regulation (CRR III) und der Capital Requirements Directive (CRD VI) sowie den damit verbundenen technischen Durchführungsstandards (Implementing Technical Standards, ITS) der Europäischen Bankenaufsicht EBA steht fest: Die systematische Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsrisiken wird zur Pflicht.

Nachhaltigkeitsrisiken betreffen das Kerngeschäft
Finanzinstitute müssen heute zwei Arten von Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen:
Physische Risiken, die direkt durch den Klimawandel oder den Verlust von Biodiversität entstehen – etwa Extremwetterereignisse, Überschwemmungen oder der Rückgang von Ökosystemleistungen.
Transitorische Risiken ergeben sich dagegen aus tiefgreifenden wirtschaftlichen und regulatorischen Anpassungen. Sie betreffen zwar häufig den Übergang zu einer CO₂-armen Wirtschaft, gehen aber darüber hinaus: Auch neue Anforderungen in den Bereichen Biodiversität, Menschenrechte oder Corporate Governance können erhebliche Übergangsrisiken auslösen – beispielsweise durch verschärfte Berichtspflichten, Lieferkettengesetze oder veränderte Marktpräferenzen.
Beide Risikotypen wirken unmittelbar auf klassische Risikoarten wie Kredit-, Marktpreis-, operationale und Reputationsrisiken. Sie müssen daher konsequent in Risikomodelle, Geschäftsstrategien und Kapitalplanung integriert werden.
Wo entstehen Risiken?
Die Auswirkungen auf den Finanzsektor sind vielschichtig. Für Banken bedeutet der Übergang zu einer CO₂-armen Wirtschaft erhöhte Unsicherheiten in emissionsintensiven Sektoren wie Energie, Bau oder Transport. Wenn Unternehmen dieser Branchen regulatorisch unter Druck geraten oder Marktanteile verlieren, steigt das Ausfallrisiko. Werden diese Risiken nicht entsprechend in Kreditprozessen und Risikomodellen berücksichtigt, drohen fehlerhafte Kapitalunterlegungen und strategische Fehlentscheidungen.
ESG-Offenlegung wird verpflichtend
Mit dem aktuellen Konsultationspapier der EBA zur ESG-Offenlegung nimmt die Regulierung eine neue Qualität an. Die technischen Durchführungsstandards (ITS) sollen gemäß aktuellem EBA-Vorschlag erstmals ab dem 31. Dezember 2026 verpflichtend zur Anwendung kommen, sodass erste Berichtspflichten Anfang 2027 erwartet werden. Diese umfassen unter anderem:
Exposition gegenüber fossilen Brennstoffen: Banken sollen zukünftig transparent machen, wie hoch ihre gesamten Engagements in Unternehmen sind, deren Aktivitäten maßgeblich auf fossilen Energieträgern beruhen.
Emissionen und Emissionsintensität: Die finanzierten Treibhausgasemissionen (Scope 1 und Scope 2) und deren Intensität je Wirtschaftssektor sollen offengelegt werden.
Klimarisiken bei Immobilienkrediten: Offenlegung der Energieeffizienz von Immobilien, die als Sicherheiten für Kredite dienen, inklusive Energieeffizienzklassen oder tatsächlichem Energieverbrauch.
Engagements gegenüber den größten CO₂-Emittenten: Veröffentlichung der Risiken aus Kredit- und Investmentpositionen in den 20 kohlenstoffintensivsten Unternehmen des Portfolios. Diese Offenlegung wird auch implizit erfordern, dass Banken die Klimastrategien und Transformationspläne ihrer größten Unternehmenskunden aktiv bewerten.
Strategien zur Klimarisikominderung: Transparenz zu risikomindernden Maßnahmen der Banken, insbesondere über Kennzahlen wie die „Green Asset Ratio“ (GAR), welche den Anteil nachhaltiger Vermögenswerte abbildet.
Physische Klimarisiken nach Region: Darstellung der Risikopositionen in Regionen, die besonders anfällig für physische Klimafolgen (wie Überschwemmungen oder Waldbrände) sind.
Qualitative Integration von Nachhaltigkeitsrisiken: Banken sollen zuden offenlegen, wie sie Nachhaltigkeits- und Klimarisiken in ihre Geschäftsstrategie, Risikomanagementprozesse und Governance-Strukturen integriert haben. Dabei verweist die EBA explizit auf die Schnittstellen zur EU-Taxonomie. Deren Daten werden zunehmend als Grundlage für ESG-Risikobewertungen dienen.
Die EBA betont ausdrücklich das Proportionalitätsprinzip, d.h. kleine und weniger komplexe Institute dürfen vereinfachte Offenlegungen nutzen, um unangemessene Belastungen zu vermeiden. Die genauen Umsetzungsdetails sind jedoch noch in der Diskussion. Das Ziel besteht in einer einheitlichen, vergleichbaren und risikoorientierten ESG-Berichterstattung, die über reine Transparenz hinausgeht und als Grundlage für die Risikosteuerung dient.
ESG wird damit Teil der aufsichtsrechtlichen Pflicht und stellt einen weiteren Schritt in Richtung verbindlicher Kapitalwirkung dar.
Die BaFin erhöht den Druck
Auch die deutsche Aufsicht stellt klar: Die Zeit des ESG-Projektstatus ist vorbei. In ihrer Publikation „Risiken im Fokus 2025“ kündigt die BaFin an, Nachhaltigkeitsrisiken künftig konsequent in die aufsichtliche Prüfung einzubeziehen. Dabei geht es nicht mehr nur um Strategiepapiere, sondern um gelebte Praxis.
Die Aufsicht wird dabei insbesondere bewerten, ob Klimarisiken in den ICAAP, in Stresstests, Szenarioanalysen und in die Risikosteuerung auf Prozessebene integriert wurden. Zudem wird sie hinterfragen, wie Governance-Strukturen ESG-Risiken tatsächlich berücksichtigen, beispielsweise im Rahmen von Kreditentscheidungen oder der Produktentwicklung.
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) zieht Konsequenzen aus Klimarisiken: Ab der zweiten Jahreshälfte 2026 wird im Sicherheitenrahmen ein sogenannter "Klimafaktor" eingeführt. Dieser verringert den Wert von Unternehmensanleihen, die Banken als Sicherheiten bei Refinanzierungsgeschäften hinterlegen, wenn diese besonders von transitorischen Klimarisiken betroffen sind. Damit schützt die EZB das Eurosystem vor potenziellen Wertverlusten und stärkt die geldpolitische Resilienz. Für Banken heißt das: Wer stark auf Anleihen aus emissionsintensiven Sektoren setzt, muss künftig mit zusätzlichen Abschlägen rechnen.
Was Institute jetzt tun sollten
Die regulatorischen Anforderungen sind klar – aber auch unabhängig davon sollten Finanzinstitute die Chance ergreifen, sich strategisch zukunftsfähig aufzustellen. Das bedeutet:
Risikomanagement erweitern: ESG-Faktoren müssen systematisch in bestehende Risikoarten integriert werden. Für Banken betrifft das insbesondere Kreditrisikomodelle und die Risikovorsorge.
Datenbasis aufbauen: Die Anforderungen an ESG-Daten steigen. Institute sollten jetzt in belastbare, vergleichbare und auditierbare Daten investieren und diese in Risikomanagement, Reporting und Produktsteuerung einfließen lassen.
Strategie mit ESG verknüpfen: ESG darf kein isoliertes Ziel sein. Vielmehr muss es Teil der Geschäftsstrategie werden und dort Wirkung entfalten, wo Kapital allokiert, Produkte gestaltet oder Kundengruppen angesprochen werden.
Wer ist jetzt gefragt?
Die Umsetzung ist bereichsübergreifend – und betrifft alle Ebenen. Vorstände und Strategieverantwortliche sind aufgefordert, ESG-Risiken in die langfristige Ausrichtung zu integrieren. Das Risikomanagement und das Meldewesen müssen die neuen Anforderungen operationalisieren. Produktentwicklung, Vertrieb und ESG-Teams sollten gemeinsam analysieren, wie nachhaltige Finanzierungs- und Anlageprodukte positioniert und weiterentwickelt werden können.
Nachhaltigkeitsrisiken ernst nehmen – und gezielt gestalten
Was früher unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“ zusammengefasst wurde, ist heute eine aufsichtsrechtlich relevante Risikokategorie und kann morgen zum Differenzierungsfaktor im Wettbewerb werden.
Planet Now begleitet Finanzinstitute von der regulatorischen Analyse bis zur Umsetzung messbarer ESG-Strategien – damit Nachhaltigkeit von der Pflicht zur strategischen Steuerungsgröße wird.




Kommentare